Warum hält man sich eigentlich Katzen?

Eigentlich hatte ich mich an den Schreibtisch gesetzt, um meiner besten Freundin endlich 'mal wieder einen Brief zu schreiben. "Miauu", tönte es vom anderen Ende des Flurs, und selbst für unsensible Menschenohren war der Vorwurf deutlich herauszuhören. "Oui, mon chéri", rief ich, unser internes Kürzel für: "Ja, mein Goldstück, komm doch her und erzähl' mir, was los ist." - "Miau." Und noch einmal: "Miauuuu", und diesmal klang es ganz so, als habe Felix die Absicht, die Nachbarn zu alarmieren, wenn ich nicht sofort aufstehen und zu ihm kommen würde.

Zunächst klärte ich die unbedeutenden Dinge des Alltags. Am Freßnapf gab es nichts auszusetzen. Das Katzenklo war auch sauber. Dann war es also etwas Ernsteres. Monsieur wünschte Beschäftigung. So robbte ich durch die Wohnung auf der Suche nach den Verstecken jagdbarer Beute. Eine Alukugel schoß unter einem Sessel hervor und rollte durch den Flur. Felix hinterher. Ein Schlag mit der rechten Pfote, einer mit links, und die 'Maus' floh in die Küche. Einen Moment lang wurde der dunkle Eingang belauert, dann ging die Jagd in der Küche weiter.

Alles klar, dachte ich, und setzte mich wieder an den Schreibtisch. Doch kaum hatte ich drei Worte geschrieben, da klang Felix' Ruf schon wieder quer durch die Wohnung. Es folgte eine längere Auseinandersetzung: "Miau." - "Oui, mon chéri." Keine Antwort, stattdessen ein kurzer Trab - es ist schon unglaublich, wie laut Katzen stampfen können, wenn sie Unzufriedenheit zur Kenntnis bringen wollen! Dann stubste er mich ans Knie, schaute mir tief in die Augen und meinte: "Was interessiert mich Deine Freundin? Kümmer' Dich jetzt gefälligst um mich!" Also nahm ich meine sechs Kilo Kater auf den Schoß und versuchte, weiterzuschreiben. "Solche halben Sachen mag ich ja nun überhaupt nicht", sagte er und trabte beleidigt von dannen.

Zwei Sätze weiter begann das Spiel von Neuem. "Miauu." - "Oui, mon chéri." - "Miauuu." - "Komm doch her, mein Schatz." Und antraben, und ein bißchen streicheln lassen - "So begreif' doch endlich, daß es eine Voll- und keine Nebenbeschäftigung ist, einen Kater zu streicheln!" - und wieder abhauen. So wiederholte sich das noch mehrfach, bis ich endlich verstand, daß ich diesen Brief wirklich ebenso gut auch noch später schreiben könnte. Zum Glück hat Felix viel Geduld mit begriffsstutzigen Menschen.

Da lag er nun also auf meinem Schoß, schnurrte, daß ein Dieselmotor vor Neid erblasst wäre, und hielt mir sein Kinn zum Kraulen hin. "Aber bitte das Kinn mit der linken Hand kraulen und gleichzeitig den rechten Arm so anwinkeln, daß ich bequem in der Armbeuge liege, schließlich bist Du sowieso viel zu dünn, um einem richtigen Kater den ihm zustehenden Platz bieten zu können", sagte er mir vorsichtshalber noch, obwohl ich das längst weiß, denn immerhin lerne ich ja schon zwei Jahre bei ihm. Doch das sagte ich lieber nicht, da ihm wahrscheinlich spielend tausend Dinge eingefallen wären, die ich trotz dieser langen Zeit noch immer nicht kapiert habe.

Meine Hände streichelten und genossen die Weichheit des Fells, das sanfte Vibrieren, die Wärme, die dieser kleine Körper ausstrahlte. Felix' Schnurren klang, als wollte er mir sagen: "Ich mag Dich, ich vertraue Dir, ich fühl' mich wohl bei Dir". Und so fühlte auch ich mich gut, und ich schickte meine Gedanken auf die Reise. Natürlich waren Katzen der Pfad, auf dem sie spazierten. Da fiel mir die Frage ein, die mir eine Freundin gestellt hatte: "Warum hält man sich eigentlich Katzen? Das ist doch eine Menge Arbeit, die schwere Katzenstreu schleppen, dosenweise das Futter ankarren; Katzenklo saubermachen ist auch nicht immer so angenehm." - "Gibt es denn etwas Schöneres, als eine schnurrende Katze auf dem Bauch zu haben?" Doch das hatte sie entkräftet: "Wenn meine Katze morgens um sieben ankommt und ich noch zwei Stunden schlafen könnte, kann ich das durchaus nicht genießen, daß sie schwer auf meinem Bauch liegt und schnurrt." Darauf hatte ich nichts mehr zu erwidern gewußt.

So stöberte ich in meiner Vergangenheit als Katzenhalterin und suchte nach dem Grund für dieses Dasein, das ich nie gewollt hatte und nun doch nicht mehr missen möchte. Mein erster Abend mit Felix fiel mir ein. Ich hatte mich auf dem Sofa ausgestreckt und las. Felix hatte sein neues Revier erkundet. Nun wollte er sich mit seinen Mitbewohnern näher bekannt machen. Er setzte sich vor das Sofa und sah mich eine Weile an. Dann fragte er, ob er wohl raufkommen dürfe, damit wir uns 'mal in Ruhe beschnuppern könnten. "Hm", brummte ich und las weiter. Vorsichtig legte er sich neben mich, warf einen Blick in mein Buch, meinte dann, das sei ja nicht gerade hohe Literatur, aber ich könnte von ihm aus ruhig den Absatz noch zuende lesen, schließlich hätten wir es nicht eilig. Also legte ich mein Buch zur Seite. Eine Zeitlang betrachteten wir uns nur. Dann versuchte ich es 'mal mit Streicheln. "Na ja", sagte er, "dafür, daß Du das noch nie gemacht hast, ist es erträglich, aber Du mußt noch viel lernen." So war ich denn als Katzenhalterlehrling angenommen worden.


Drei Tage brauchte Felix, um mir beizubringen, daß der einzig wahre Schlafplatz für eine Katze auf dem Bett eines Menschen ist. Wenig später hatte ich auch begriffen, daß der ohnehin freie Platz am Fußende die ungeeignetste Stelle ist. Viel besser schläft katz da, wo mensch - wenn er sein Bett nicht mit einer Katze teilte - seine Füße oder Knie hinzulegen pflegt. Etwas länger dauerte es, bis wir uns über die Essenszeiten einig waren. Man hört ja zuweilen, daß Katzen einfach morgens und abends Futter hingestellt bekommen, und damit hat sich das. Bis dahin war "Morgen" für mich, wenn ich der Arbeit wegen zwingend aufstehen mußte und sonst ein paar Stunden später. Jeder in der Wohnung respektierte das. Doch Felix störte sich nicht daran. Eine Stunde vor dem Weckerklingeln stand er vor meinem Bett und sagte: "Wenn Du mir abends nicht wenigstens noch einen Notimbiss für die Nacht hinstellst, bist Du selbst schuld, daß ich Dich so früh wecken muß. Schließlich kannst Du mir nicht zumuten, daß ich nur wegen Deiner Schusseligkeit verhungern soll. Das werde ich sowieso nie verstehen, was ihr Menschen für lange Schlaf- und Wachphasen habt, das ist doch völlig übertrieben!"

Die Auswahl der richtigen Futtersorte zu lernen, war gar nicht so einfach. Millionen Katzen, so dachte ich, sind mit den Dosen von Onkel Aldi zufrieden, und da gibt es mehr fürs Geld als bei Effem. Als ich die erste Dose in seinen Napf füllte, sagte er noch nichts. Auch die zweite nahm er hin. Doch die dritte erklärte er kurzerhand für Katzendreck und buddelte, was das Zeug hielt. Blöd, wie Menschen nun 'mal sind, merkte ich zunächst nichts. Am Abend stand der Napf immer noch unberührt da. "Miauuuu", begrüßte mich Felix, doch ich verstand nur miau. "Hast Du keinen Hunger?", fragte ich ihn. Er sagte nichts dazu, schlich hinter mir her in die Küche und wartete sehnsüchtig darauf, daß ich den Kühlschrank aufmachte. Als das nicht geschah, trabte er mit laut knurrendem Magen zu seinem Essensplatz. In geruchssicherer Entfernung setzte er sich hin und schaute zwischen mir und diesem Ekelzeug hin und her. Noch immer verstand ich nichts. "Dann iß doch", sagte ich zu ihm und hielt ihm den stinkenden Napf auch noch unter die Nase - menschliche Nasen sind halt nicht dazu gebaut, den Unterschied zwischen Katzenfutter und kalorienhaltigem Müll wahrzunehmen. Entsetzt lief er weg. "Dann eben nicht", sagte ich nur, "dann kann der Hunger ja nicht groß sein." Und ich verzog mich auf mein Sofa.

Als ich nach einiger Zeit wieder an seinem Napf vorbeikam, bot sich mir ein Bild des Jammers. Etwas mehr als eine Pfotenlänge von seinem Napf entfernt saß Felix. Ab und zu streckte er eine Pfote aus, soweit er nur konnte, um in den Napf zu langen, krallte sich einen Brocken heraus, schüttelte ihn kräftig, wohl in der Hoffnung, daß damit der Geruch sich verflüchtigen würde, schnupperte vorsichtig, schüttelte nochmal und schob sich das Zeug dann ganz schnell in Richtung Magen. "Hast Du es jetzt kapiert", fragte er mich, "was Du mir da zumutest? Der Fraß ist so ekelig, den kann man nicht auch noch kauen. Und wenn ich nicht ganz kurz vor dem Hungertod stände, wäre ich da noch lange nicht drangegangen."

Es folgten Versuche mit anderen Billig-Sorten, die von Felix als ebenso unzumutbar betrachtet wurden, und so einigten wir uns zunächst auf Kitekat. Doch auch da gab es von Woche zu Woche mehr Sorten, die einfach ungenießbar waren, und schließlich erklärte Felix uns, daß Whiskas im Sonderangebot auch nicht teurer sei als Kitekat zum Normalpreis und daß es doch wohl für Katzenversorger zumutbar sein müßte, auf eben diese Sonderangebote zu achten, um ihm das Leben so erträglich wie möglich zu gestalten.

Als ich nun über all die großen und kleinen Lehr- und Lernprozesse nachdachte, fiel es mir auf einmal wie Schuppen aus den Haaren. Ach Herzblatt, Du hättest doch wissen müssen, daß Deine Frage schon im Ansatz falsch gestellt ist! Warum hält man sich Katzen? Auf eine so falsche Frage kann es einfach keine Antwort geben.

"Warum", so lautet die Frage, "hält katz sich eigentlich Menschen?"


© Raphaëla Corall

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